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Macht und Rebel
Roman
Matias Faldbakken

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Produktbeschreibung

Neue Zürcher Sonntagszeitung sagt:

"Die provokanteste Romansatire des Herbstes."

Süddeutsche Zeitung sagt:

"Endlich liegt nun das libertäre Gegenbuch zu Michel Houellbecqs konservativen Beziehungsfibeln vor."

Buchkultur sagt:

"Das bösartigste Buch dieser Saison."

Konkret sagt:

"Eine schnelle, kleinteilige und abgrundtief komische Satire, die vor wenig Halt macht."

Neue Züricher Zeitung sagt:

"Frech, theatralisch und hochironisch ... Die Fragen, die er aufwirft, treffen ins Herz der Gegenwart"

AUTOR: Matias Faldbakken

Matias Faldbakken, 1973 geboren, lebt als bildender Künstler in Oslo. 2003 erschien sein aufsehenerregender Debütroman »The Cocka Hola Company«, der Auftakt der Skandinavische-Misanthropen-Trilogie, die mit »Macht und Rebel« und »Unfun« komplettiert wurde. Bühnenfassungen aller drei Romane wurden an diversen deutschen Theatern aufgeführt. Faldbakken gilt zudem als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Seine Werke werden weltweit in den führenden Galerien ausgestellt. Nach längerer Schreibpause erschienen 2017 und 2020 die Romane »The Hills« und »Wir sind fünf«, die von Publikum und Presse gefeiert wurden.
Eine gnadenlose Attacke gegen die vorherrschende Konsensgesellschaft

Norwegens Skandalautor von "The Cocka Hola Company" legt nach. Frech und provokativ treibt er in seinem zweiten Roman das Spiel mit den Grenzüberschreitungen weiter und karikiert mit bitterbösem Humor die pervertierte Welt des Konsums.
Kapitel 1
Rebel
Mittwoch
Ich stehe in der Kassenschlange im Supermarkt hinter einem Typen, der seine Koteletten dermaßen hoch ausrasiert hat, dass er ganz mongoloid aussieht. Fett ist er außerdem. Ich hasse ihn zutiefst. Ich hasse fette Menschen. Wenn man so aussieht, sollte man eigentlich nicht vor die Tür gehen. Der hat wahrscheinlich vorm Spiegel gestanden und gedacht: »Ist doch in Ordnung, wie ich aussehe, dann ziehe ich mir mal die Jacke an und gehe einkaufen.« Ich hätte nicht übel Lust, ihm von hinten ein paar auf seine fetten Backen zu verpassen für den übergriff, dass er sich der Öffentlichkeit zumutet.
Ich befinde mich bei einem – ja, wie sagen wir´s? – engagierten Einkaufsakt. Die Salatgurke, die soeben durch die Hände der Kassiererin gleitet, wird in eineinhalb Stunden gut dreißig Zentimeter tief in meinem Hintern stecken. So lautet mein Plan. Ich bin kein Homo oder so, ich habe nur mein eigenes Gewichse dermaßen tödlich über, dass ich hier und da versuche, es mit ein paar kleinen Tricks etwas aufzupeppen. Mr. Fatso vor mir stopft eine ganze Zehnerpackung Fleischwürste in seine Einkaufstüte, und ich denke mir meinen Teil. Die Frau an der Kasse ihrerseits ist, wen überrascht´s, hässlich wie die Nacht. Unbeholfen nimmt sie mein Geld entgegen, und ich muss intensiv nachdenken, welchen von beiden ich mehr hasse, sie oder die fette Sau. Wie ich sehe, ist der Fette einer von der Sorte, die akzeptiert haben, fett zu sein. »Ich bin fett und stolz darauf.« Die Kassiererin hat etwas derart Jämmerliches und Minderwertiges an sich, dass ich nicht mal anfangen will darüber nachzudenken, wegen welcher Komplexe sie nachts heulend im Bett liegt.
Meine Prophezeiung erfüllt sich; zu Hause verschwindet die Salatgurke gut dreißig Zentimeter tief in meinem Enddarm, das ist nicht unbedingt angenehm, aber doch besser als nichts. Der Orgasmus – na ja, das ist beinahe eine Übertreibung; mir gelingt es, nach längerem Gewerkel ein bisschen Sperma rauszuquetschen – ist ungefähr genauso schmerzhaft wie die selbst zugefügte Penetration, und im Endeffekt bin ich nicht weniger stinkig als zuvor, eher mehr. Das am wenigsten inspirierende Element beim Gebrauch von – nennen wir´s Hilfsmitteln – beim Wichsen ist ja, dass man hinterher aufräumen muss. Ich spüre noch meinen pochenden Schließmuskel, während ich mich stöhnend und ungeschickt bücke und unter der Arbeitsfläche der Küche zu schaffen mache, beide Hände im Mülleimer, beim halbherzigen Versuch, die Gurke unter einer alten Schinkenverpackung aus Plastik zu verbergen.
Alle Menschen, denen ich über den Weg laufe, hasse ich abgrundtief. Ich hasse verflucht noch mal alle. Seit kurzem hasse ich sogar Dinge. Und Geräusche. Das Geräusch, das mich nicht nervt, gibt es gar nicht. Ich finde alles abscheulich. Ungelogen. Meine Interessen sterben aus wie die Insassen eines Altersheims, eines nach dem anderen. Und last but not least: Ich habe mich selber und mein eigenes Gewinsel derart satt, dass ich kotzen könnte. Es ist sozusagen unmöglich geworden, auf individuelle Weise zu winseln. Viel zu viele Leute winseln genau so wie ich.
Ich rolle die drei Flyer zusammen, auf die ich meinen mühsam herausgepressten Samen vergossen habe. Auf allen dreien steht ambush! Schwarze Schrift auf rotem Papier. Arolf und ich haben sie vor ein paar Monaten für Fatty gemacht. Nicht den Fettwanst aus dem Supermarkt, sondern Fatty höchstpersönlich. Fatty Frank Leiderstam. Die Flyer landen neben der Gurke im Müll.
Es ist drei Uhr nachmittags und ich bin zapplig wie ein Höllenfurz, aber außerstande, irgendetwas zu unternehmen, also greife ich zu Hausmittel Nummer eins: Ich mache den Fernseher an, zappe ein bisschen rum und lande bei einem Interview mit einem 16-jährigen Theoretiker, der gerade erzählt, er habe zwölf neue Assays geschrieben – Essays aus der Arschlochperspektive. Mir wird übel und ich qualme eine Zigarette nach der anderen weg, was mich nur noch zappliger macht, und je zappliger ich werde, desto weniger Lust habe ich, etwas zu tun. Etwas auf die Beine zu stellen. Ich halte es mit mir selber nicht aus. Also warum nicht was Soziales? Denn das Soziale erlebe ich sowieso wie folgt:

Moderne Version der Hölle
Die Sozialhölle
Erster Höllenkreis: Kaffeetrinken mit Freunden
Zweiter Höllenkreis: In fremden Wohnungen schlafen
Dritter Höllenkreis: Die Eltern von Leuten treffen
Vierter Höllenkreis: Mit Leuten reden, die sich aufrichtig für das interessieren, was ich zu sagen habe
Fünfter Höllenkreis: Mit Leuten rumhängen, die dümmer sind als ich
Sechster Höllenkreis: Mit Leuten rumhängen, die schlauer sind als ich
Siebter Höllenkreis: Abendessen
Achter Höllenkreis: Abendessen zu zweit
Neunter Höllenkreis: Partys
Ich bleibe sitzen wie von der Brust abwärts gelähmt und kann mich eineinhalb Stunden lang nicht von dem unerträglichen Anblick Gwyneth Paltrows lösen. Gwyneth Paltrow gelingt es fast, dass ich vor Wut anfange zu heulen, aber es gelingt ihr nicht, mich vom Sofa hochzuscheuchen. Warum bloß? Ich finde es wahnsinnig unoriginell, hier vor Langeweile paralysiert herumzusitzen, doch warum soll ich andererseits verflucht noch mal nicht das Recht auf Langeweile haben? Ich hasse mich selber für meine Ohnmacht. Ich kneife mein Rektum zusammen, um es wieder auf Normalgröße zu bringen, und denke dabei, wie sehr ich tatkräftige Leute hasse, ebenso sehr übrigens Leute, die sich zu nichts aufraffen können – irgendwie bleibt mir keine Alternative.
Anders gesagt: Ich würde mich ebenso hassen, wenn ich auf einmal den Arsch hochbekäme und rausginge, zupackend und voll jugendlichem Tatendrang, um etwas Positives zu leisten.
Ich dusche, denn ich fühle mich wie mit Darmbakterien glasiert, doch aus mysteriösen Gründen benutze ich keine Seife. Die Duschkabine ist eng, der Abfluss größtenteils mit Haupt-und Schamhaaren verstopft, die ich definitiv nicht entfernen werde, bevor gar kein Wasser mehr abläuft. Ich kriege heißes Wasser in den Mund, das macht mich stinkig. Mein Schwanz ist wund, das macht mich stinkig. Alles macht mich stinkig. Ich habe ein bisschen studiert, das hat mich stinkig gemacht. Ich habe ein bisschen protestiert, das hat mich stinkig gemacht. Ich war unengagiert, das hat mich stinkig gemacht. Ich habe ein bisschen gejobbt, das hat mich stinkig gemacht. Ich war arbeitslos, das hat mich stinkig gemacht. Wenn ich daran denke, was ich alles gemacht oder nicht gemacht habe, macht mich das stinkig. Und was mache ich jetzt? Vielleicht studiere ich Geschichte, vielleicht bin ich ein Performancekünstler, vielleicht jobbe ich im 7–11, vielleicht bin ich arbeitslos, vielleicht bin ich ein Aktivist, vielleicht bin ich krankgeschrieben, vielleicht bin ich pädophil und völlig auf Speed, vielleicht habe ich einen Doktor in Mikrobiologie – aber was für eine Scheißrolle spielt das hier in Skandinavien, wo alles so wunderbar funktioniert, in einer Zeit, da alle – jeder Student, jeder Loser, jeder Junkie, jeder Lohnarbeiter, jeder Staatsmann und jeder ... Musiker – gleich denken, gleich subversiv und on the edge und folglich alle miteinander scheissöde sind. Was ich mache, spielt keine Rolle. Was ich denke, spielt auch keine Rolle. Aber egal, was ich mache, ich kann beschwören: Es hat dafür gesorgt, dass ich durch und durch stinkig bin.
Ohne darüber nachzudenken, setze ich mich zum Scheißen aufs Klo, während dem Zähneputzen. Warum verdammt noch mal habe ich nicht vor dem Duschen geschissen?
In meinem Klo sieht es auch nicht unbedingt appetitlich aus. Im Lauf des letzten Jahres habe ich alle möglichen Sachen mit aufs Klo genommen, wahrscheinlich ist das in irgendeiner Hinsicht ein schlechtes Zeichen. Zeitungen und Papiere. Lesestoff. Auf einem Zeitungsstapel vor der Kloschüssel liegt ein anderer Flyer, den Arolf und ich vor rund einem Jahr gemacht haben. Auf dem steht spare me drauf. AMBUSH! auf dem einen, SPARE ME auf dem anderen. Scheiße, was hasse ich Fatty Frank Leiderstam. Ich habe schon mehrmals zu Arolf gesagt, dass ich keinen weiteren Scheißflyer mehr für ihn machen werde, und er ist ganz meiner Meinung. Keine Flyer für Fatty. Ich erwäge, mir mit spare me den Hintern abzuwischen, damit das Ding endlich zu etwas nutze ist, komme aber mit mir selbst überein, dass die Papierqualität wahrscheinlich zu schlecht ist.
Ich mache die Beine breit, drücke meinen Schwanz mit der Linken beiseite und spucke Zahncremeschaum zwischen den Schenkeln in die Schüssel, auf der ich sitze und kacke. Ich schließe die Augen, denn unter gar keinen Umständen möchte ich mir diesen Anblick zumuten. Dann das Dilemma: Breitbeinig und gekrümmt zum Waschbecken schlurfen und mir vor dem Abputzen den Mund ausspülen, oder die Zahnbürste zwischen die Zähne klemmen, während ich mir den Hintern wische, um dann aufrecht zum Waschbecken zu gehen. Ich entscheide mich für die zweite Alternative, obwohl es nicht unbedingt verlockend ist, im Rektum herumzumachen, den Mund voll Colgate.
Zurzeit lautet meine Weltanschauung wie folgt: Während der Westliche Westen sich von Tokio bis Los Angeles die Nille schlappwichst, wichse ich auf dem Klo, unter der Dusche, auf dem Sofa, im Autobus. Der einzige Unterschied zwischen meinem Schlappschwanz und dem des Westlichen Westens ist, dass der eine in meinem Privatleben, der andere draußen in der Welt herumhängt.
Ich grause mich davor, rauszugehen, aber ich weiß auch, dass ich einen Knall kriege, wenn ich weiter hier drin um mich selber kreise, also zwinge ich mir die Schuhe an die Füße, trödle mörderisch, gehe hin und her, weil ich denke, ich muss noch was mitnehmen, aber das ist nichts als Lüge und Selbstbetrug, ich gehe rund zehn Mal ins Bad und schaue in den Spiegel, schaffe es irgendwann aus der Tür, und als allererstes laufe ich natürlich meinem unerträglichen Nachbarn über den Weg. Er trägt einen College-Pullover mit der Aufschrift the king of analingus, und es ist mir technisch unmöglich, nicht mit ihm im Aufzug zu landen. Das Schlimmste an meinem Nachbarn ist nicht, dass er ein liebenswürdiges und hässliches Arschloch von Musikliebhaber ist, sondern er ist so beflissen. So beschissen, würgreizerregend beflissen, und wie alle Beflissenen ist er völlig außerstande, den Wink mit dem Zaunpfahl wahrzunehmen, den ich ihm jedes Mal
gebe, wenn wir uns begegnen. Der Wink bedeutet: Sprich mich bloß nicht an und behalte deine grässliche Beflissenheit und deine grässlichen Theorien für dich! Die Aufzugtür gleitet zu.
»Hallöööchen«, sagt er, dreht sich zu mir und lächelt, was in einer Aufzugkabine von höchstens einem Quadratmeter Grundfläche an sich schon unsinnig ist. Er atmet mir ins Gesicht. Ich kann nicht antworten.
»Bist du heute genervt oder was? Hehe! Häh? Du bist doch nicht genervt? Komm schooon! Bist du genervt? hääääh?« Ich mache die Augen zu und wappne mich dafür, dass er mir gleich eine von seinen ewigen Theorien auftischt. Und da ist auch schon die Theorie des Tages:
»Weißt du, warum ich so viel übers Scheißhaus und übers Scheißen rede? Weil, nicht wahr, das Scheißhaus ist einer der letzten gemeinsamen Nenner in einer zersplitterten Gesellschaft, ja? Auf dem Scheißhaus sitzen, das ist der globale Akt, die globale Körperhaltung, etwas, was so gut wie alle Klassen, Rassen und Menschenkategorien miteinander gemein haben, in räumlicher wie zeitlicher Hinsicht. Das Scheißhaus ist der universelle kontemplative Raum. Es definiert die Denkzeit des Durchschnittsmenschen. Rechnet man die Zeit zusammen, die normale Menschen in ihrem Leben mit reiner Kontemplation verbringen, dann dürfte diese Zeit mit größter Wahrscheinlichkeit verdächtig nahe an der totalen Scheißhausaufenthaltsdauer liegen, ja. Wenn man das sieht, dann begreift man, dass high und low, oben und unten, high street und underground immer eine unsichtbare Affinität zueinander haben. Eine Art heimliche Zusammenarbeit. Der reine Gedanke entsteht, wenn du dich gerade der fundamentalsten Dinge entledigst. Der fundamentalsten Stinke. Hä hä hä hä.«
Mir wird schwarz vor Augen, ich schalte nach der Hälfte der Erläuterung ab, und ich weiß verflucht nicht, was passiert ist, denn auf einmal bin ich draußen und gehe die Obergate runter, an der Halal-Metzgerei von Mamar Mohandi vorbei, bei dem, das weiß ich genau, Heroin über den Ladentisch geht, und der king of analingus ist weg, Gott sei gelobt und gepriesen. Ich beschließe, zu Fuß in den Leermeister Pub zu gehen, denn ich bringe es nicht über mich, in die Trambahn zu steigen. Fotti hat mich angerufen, bevor ich im Supermarkt war, und gesagt, dass sie gegen sechs dahin kommen würde.
»Mann, du siehst aber scheißfröhlich aus«, sagt Fotti.
»Schnauze«, sage ich.
»Was ist los?«, fragt Fotti.
»Nix, was soll los sein«, sage ich.
»Was hast du heut so gemacht?«
»Nix. Bin rumgelaufen und habe darum gewinselt, dass was passiert.«
»Und Arolf? Was macht ihr?«
»Jedes Mal, wenn wir uns treffen, deepthroaten wir uns gegenseitig, bis wir kotzen; Arolf hat es besonders gern, wenn ich ihm auf den Schwanz kotze, ich kriege es am liebsten auf den Sack«, sage ich. »Nein, wir sehen uns manchmal, aber wir machen nichts, nein. Wir erledigen dann und wann einen Job für Fatty, aber das ist bald vorbei. Wir winseln im Duett«, sage ich.
Der Barkeeper kommt mit gebleckten Zähnen auf uns zu. Gott weiß, wie oft ich schon hier gesessen und krampfhaft überlegt habe, ob man jetzt seine Ober-oder seine Unterzähne sieht, wenn er lächelt. Er bringt uns zwei Bier.
»Iss´n das da? Sierra-Leone-Chic?«, frage ich im Versuch, ausnahmsweise mal fresh und lustig zu sein und deute mit gekralltem Mittelfinger (der mich sofort an eine Mini-Salatgurke erinnert, eine Gewürzgurke, eine Anusgurke für einen Zwerg oder einen kleinen Jungen) auf die Verbände an Fottis Handgelenken. »Bist du endlich zur Besinnung gekommen und hast versucht, uns zu verlassen?«
»Einer von den Jungs im Job hat mich umgeschmissen«, sagt Fotti. »Sie haben sich um einen McPork-Burger gekloppt, und der eine hat mich umgeschubst und in die Rippen getreten, als ich versucht hab, sie zu trennen. Beide Handgelenke verstaucht. Die sind echt so was von stark und haben nicht die geringste mentale Bremse, diese Kids«, antwortet Fotti und zieht den Pullover hoch, um mir ihren bandagierten Brustkorb zu zeigen. Ich hebe die Hand und wende mich ab, zum Zeichen, dass ich momentan nicht am Anblick nackter Haut interessiert bin.
»Mit so einer Gang zu McDonald´s gehen, heißt um Anarchie und Gewalt betteln«, sagt sie.
Ich mag nichts mehr essen, so im Großen und Ganzen, wobei ich erwähnen sollte, dass ich, wenn ich unbedingt essen müsste, Junkfood essen würde, aber auf Junkfood habe ich noch weniger Scheißlust als auf sonst was, und ich weiß verdammt auch, warum. Ich esse eher gekochten Dorsch als Junkfood. Das ist ziemlich grässlich, denn ich würde lieber Junkfood essen als gekochten Dorsch. Ich kann mich dazu zwingen, zu tun, was ich will, doch offensichtlich nicht dazu, zu wollen, was ich will.
»Wie alt sind die Kids?«, frage ich.
»So dreizehn, vierzehn, fünfzehn«, sagt Fotti.
»Jungs und Mädchen?«
»Ja.«
»Alles Problemfälle?«
»Ja, genau wie du«, sagt Fotti.
Sie weiß, dass das nicht stimmt. Ich bin höflich. Ich bin derart beschissen wohlerzogen, dass man sich übergeben möchte. Alles in meinem Leben ist zutiefst kotzharmonisch.
»Damit ist aber bald Schluss«, sage ich. Wir trinken das Bier aus und gehen auseinander. Fotti sagt, sie will noch ins tesco.
Es scheint technisch unmöglich zu sein, länger als zehn Minuten trockene Füße zu behalten. Was zum Teufel denken die sich eigentlich bei nike? Poren. Die müssen anfangen, Schuhe mit Poren zu machen. Schon mal was von Poren gehört? Versucht haben sie´s vielleicht, möglich, aber hinbekommen haben sie´s nicht. Die Schuhe müssen verdammt noch mal atmen können, wenn sie brauchbar sein sollen. nike sitzt auf dem größten Geldhaufen der Welt und verfügt über Heerscharen von indonesischen Kindergartenkindern als Arbeitskräfte, trotzdem bringen die keine Schuhe zustande, die atmen! Fußschweiß? Problem Nummer eins? Nein, haben wir leider nicht lösen können. nike Gothic: keine Poren. Shady-nike: keine Poren. nike Proffensive: Leider, leider – keine Poren.
So laufe ich mit nassen Füßen weiter und sehe möglichst zu Boden, um jeden Augenkontakt mit den vielen Dutzend anderer Menschen zu vermeiden, die genau so herumlaufen wie ich. Ich kann nichts dafür, aber mich befällt jedes Mal akute Niedergeschlagenheit, wenn ich feststelle, dass es Millionen Leute gibt, die genau so herumlaufen wie ich, die genau so denken wie ich und unter Garantie stinksauer werden, wenn sie Typen wie mich sehen – genau wie ich, wenn ich sie sehe. Wäre ich Kommandant von Bergen-Belsen, dann würde ich meinen eigenen typus, nicht meine Rasse, sondern meinen eigenen scheißöden Menschentypus als ersten in die Gaskammern schicken.
»Hallo, hier ist Fotti.«
»Wie, wir haben doch eben ...«
»Ich hab nur gedacht, vielleicht hast du ja Lust, nächsten Freitag mit mir und den Problemkids picknicken zu gehen? Wenn du dich so für sie interessierst?«
»Interessieren? Picknick – pfui bäh. Wenn das nicht die Problemkids wären, würde ich nein sagen. Ja.«


Eine gnadenlose Attacke gegen die vorherrschende Konsensgesellschaft

SNorwegens Skandalautor legt nach. Frech und provokativ treibt er in seinem zweiten Roman das Spiel mit den Grenzüberschreitungen weiter und karikiert mit bitterbösem Humor die pervertierte Welt des Konsums.
Eine gnadenlose Attacke gegen die vorherrschende Konsensgesellschaft

Norwegens Skandalautor von "The Cocka Hola Company" legt nach. Frech und provokativ treibt er in seinem zweiten Roman das Spiel mit den Grenzüberschreitungen weiter und karikiert mit bitterbösem Humor die pervertierte Welt des Konsums.
"Die provokanteste Romansatire des Herbstes." Neue Zürcher Sonntagszeitung

Kapitel 1
Rebel
Mittwoch
Ich stehe in der Kassenschlange im Supermarkt hinter einem Typen, der seine Koteletten dermaßen hoch ausrasiert hat, dass er ganz mongoloid aussieht. Fett ist er außerdem. Ich hasse ihn zutiefst. Ich hasse fette Menschen. Wenn man so aussieht, sollte man eigentlich nicht vor die Tür gehen. Der hat wahrscheinlich vorm Spiegel gestanden und gedacht: »Ist doch in Ordnung, wie ich aussehe, dann ziehe ich mir mal die Jacke an und gehe einkaufen.« Ich hätte nicht übel Lust, ihm von hinten ein paar auf seine fetten Backen zu verpassen für den übergriff, dass er sich der Öffentlichkeit zumutet.
Ich befinde mich bei einem - ja, wie sagen wir's? - engagierten Einkaufsakt. Die Salatgurke, die soeben durch die Hände der Kassiererin gleitet, wird in eineinhalb Stunden gut dreißig Zentimeter tief in meinem Hintern stecken. So lautet mein Plan. Ich bin kein Homo oder so, ich habe nur mein eigenes Gewichse dermaßen tödlich über, dass ich hier und da versuche, es mit ein paar kleinen Tricks etwas aufzupeppen. Mr. Fatso vor mir stopft eine ganze Zehnerpackung Fleischwürste in seine Einkaufstüte, und ich denke mir meinen Teil. Die Frau an der Kasse ihrerseits ist, wen überrascht's, hässlich wie die Nacht. Unbeholfen nimmt sie mein Geld entgegen, und ich muss intensiv nachdenken, welchen von beiden ich mehr hasse, sie oder die fette Sau. Wie ich sehe, ist der Fette einer von der Sorte, die akzeptiert haben, fett zu sein. »Ich bin fett und stolz darauf.« Die Kassiererin hat etwas derart Jämmerliches und Minderwertiges an sich, dass ich nicht mal anfangen will darüber nachzudenken, wegen welcher Komplexe sie nachts heulend im Bett liegt.
Meine Prophezeiung erfüllt sich; zu Hause verschwindet die Salatgurke gut dreißig Zentimeter tief in meinem Enddarm, das ist nicht unbedingt angenehm, aber doch besser als nichts. Der Orgasmus - na ja, das ist beinahe eine Übertreibung; mir gelingt es, nach längerem Gewerkel ein bisschen Sperma rauszuquetschen - ist ungefähr genauso schmerzhaft wie die selbst zugefügte Penetration, und im Endeffekt bin ich nicht weniger stinkig als zuvor, eher mehr. Das am wenigsten inspirierende Element beim Gebrauch von - nennen wir's Hilfsmitteln - beim Wichsen ist ja, dass man hinterher aufräumen muss. Ich spüre noch meinen pochenden Schließmuskel, während ich mich stöhnend und ungeschickt bücke und unter der Arbeitsfläche der Küche zu schaffen mache, beide Hände im Mülleimer, beim halbherzigen Versuch, die Gurke unter einer alten Schinkenverpackung aus Plastik zu verbergen.
Alle Menschen, denen ich über den Weg laufe, hasse ich abgrundtief. Ich hasse verflucht noch mal alle. Seit kurzem hasse ich sogar Dinge. Und Geräusche. Das Geräusch, das mich nicht nervt, gibt es gar nicht. Ich finde alles abscheulich. Ungelogen. Meine Interessen sterben aus wie die Insassen eines Altersheims, eines nach dem anderen. Und last but not least: Ich habe mich selber und mein eigenes Gewinsel derart satt, dass ich kotzen könnte. Es ist sozusagen unmöglich geworden, auf individuelle Weise zu winseln. Viel zu viele Leute winseln genau so wie ich.
Ich rolle die drei Flyer zusammen, auf die ich meinen mühsam herausgepressten Samen vergossen habe. Auf allen dreien steht ambush! Schwarze Schrift auf rotem Papier. Arolf und ich haben sie vor ein paar Monaten für Fatty gemacht. Nicht den Fettwanst aus dem Supermarkt, sondern Fatty höchstpersönlich. Fatty Frank Leiderstam. Die Flyer landen neben der Gurke im Müll.
Es ist drei Uhr nachmittags und ich bin zapplig wie ein Höllenfurz, aber außerstande, irgendetwas zu unternehmen, also greife ich zu Hausmittel Nummer eins: Ich mache den Fernseher an, zappe ein bisschen rum und lande bei einem Interview mit einem 16-jährigen Theoretiker, der gerade erzählt, er habe zwölf neue Assays geschrieben - Essays aus der Arschlochperspektive. Mir wird übel und ich qualme eine Zigarette nach der anderen weg, was mich

Über den Autor



Matias Faldbakken, 1973 geboren, lebt als bildender Künstler in Oslo. 2003 erschien sein aufsehenerregender Debütroman »The Cocka Hola Company«, der Auftakt der Skandinavische-Misanthropen-Trilogie, die mit »Macht und Rebel« und »Unfun« komplettiert wurde. Bühnenfassungen aller drei Romane wurden an diversen deutschen Theatern aufgeführt. Faldbakken gilt zudem als einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Seine Werke werden weltweit in den führenden Galerien ausgestellt. Nach längerer Schreibpause erschienen 2017 und 2020 die Romane »The Hills« und »Wir sind fünf«, die von Publikum und Presse gefeiert wurden.


Klappentext

Eine gnadenlose Attacke gegen die vorherrschende Konsensgesellschaft

Norwegens Skandalautor von "The Cocka Hola Company" legt nach. Frech und provokativ treibt er in seinem zweiten Roman das Spiel mit den Grenzüberschreitungen weiter und karikiert mit bitterbösem Humor die pervertierte Welt des Konsums.

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